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Schlachtenlärm und Paukenwirbel

Justus Frantz braucht ein Glas Wasser, doch nichts zu machen: An der Bühne in der Rotunde der Lübecker MuK (der Konzertsaal ist wegen Sanierungsarbeiten gesperrt) steht der Star-Dirigent völlig unerwartet auf dem Trockenen. Der 72-jährige Hamburger setzt sich aber nicht einfach hin und wartet, dass etwas passiert, sondern stiefelt los durch die halbe Musik- und Kongresshalle bis er an einer Bar für das Orchester fündig wird. "Ich muss ein bisschen aufpassen - eigentlich hätte ich heute wegen meines Herzens im Krankenhaus bleiben sollen", erzählt Frantz, ohne dabei in Moll zu machen oder überhaupt eine Miene zu verziehen.

 

Beethovens 5. Symphonie statt Klavierkonzert
Ein Paukenschlag, der anderweitig Teil des Konzert-Programms der Philharmonie der Nationen war: Justus Frantz sollte neben Haydns Symphonie Nr. 94 G-Dur "Paukenschlag" auch Haydns Symphonie Nr. 103 Es-Dur "Paukenwirbel" dirigieren und Ludwig van Beethovens Klavierkonzert c-Moll op. 37 selbst spielen - stattdessen  müssen die Musiker dreimal ran: Beethovens 5. Symphonie soll es nach dem Willen von Justus Frantz sein: "Mit der Programmänderung werden alle leben können", so Frantz mit einem Augenzwinkern.

 

Viele Nationen - eine Sprache
Besonders einige Musiker wie die Blechbläser freuen sich eher über die plötzliche Herausforderung: "Bei Beethoven haben wir mehr zu spielen. Das ist gut!“, so die Rumänen Ciprian Popa am Horn und Oleg Raileanu an der Trompete. Weniger begeistert ist dagegen die bulgarische Bratschistin Stanislava Stoeva: "Ich bin zum ersten Mal dabei und total aufgeregt." Dabei sei es ganz einfach, in dieses Ensemble einzusteigen, so ihr Landsmann Alexander Kamenarov an der Pauke:  "Wir sprechen doch alle die eine Sprache der Musik."

 

Hoffnung auf schnelle Sanierung der MuK
Unter diesem Motto schmiedet Justus Frantz sie seit 21 Jahren zusammen: Ivo Krastev freut sich ebenfalls auf die Mehrarbeit - er gehört mit seiner Bratsche schon seit 20 Jahren zur Philharmonie der Nationen. An die Programmumstellung denkt er weniger, als an den Klang in der Rotunde: "Der ist okay, aber nicht so optimal wie der Konzertsaal." Er hofft, dass er im Konzertsaal in der Lübecker Musik- und Kongresshalle im kommenden Jahr wieder spielen kann.

 

Keine Widerrede bei den Proben
Erst mal wird aber in der Rotunde gespielt und vorher ordentlich geprobt. Dabei nimmt der Dirigent, der vor 30 Jahren mit dem SHMF seine Idee umsetzte, klassische Musik einem breiten Publikum in Scheunen, Gutshöfen oder Werfthallen näher zu bringen, kein Blatt vor den Mund: "Die Trompeten müssten hier weiter vorne sitzen! Dass Ihnen das kein Lehrer beigebracht hat. Na ja, sie hatten ja auch keinen Unterricht bei Bernstein!" So, wie eben ein Justus Frantz. Deshalb enden solche Anweisungen und auch andere meistens ohne Widerrede.

 

aus: NDR Lesezeit, von Thorsten Philipps