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Gedenkkonzert zum 8. Mai

Presse-Echo, 11. Mai 2015

 


Frankfurter Rundschau
Gedenkkonzert zum 8. Mai

 

Antwort auf den Zweiten Weltkrieg

 

Dirigent Justus Frantz und die Philharmonie der Nationen beweisen in der Frankfurter Alten Oper zum 70. Jahrestag des Kriegsendes Fingerspitzengefühl. Beethoven und Schostakowitsch, gespielt von einem multikulturellen Orchester, setzen einen würdigen Akzent zum 8. Mai.

Justus Frantz setzte am Freitag nicht nur musikalische Akzente. In seiner Ansprache betonte er, dass der 8. Mai für die Deutschen und auch für seine Familie ein Tag der Befreiung und der Frieden nach den begangenen Gräueln eigentlich unverdient gewesen sei. Und er berichtete, mit welcher Bangigkeit er zum ersten Mal nach dem Krieg in die vormalige Sowjetunion gereist war, um dort mit „vergebender Hochachtung“ empfangen zu werden.

Dirigent und die Musiker aus 40 Staaten, vorwiegend aus Osteuropa – darunter auch zwei Instrumentalisten aus Russland und der Ukraine -, präsentierten sich in der Frankfurter Alten Oper in Hochform, was das Publikum mehrfach zu Beifallsstürmen hinriss. Und es erwies sich als richtig, dass Frantz die fünfte Symphonie Schostakowitschs nach vorne gezogen hatte. Die anspruchsvolle Komposition ans Ende zu stellen, hätte die Zuhörer wohl überfordert.

Vielleicht war diese Programmänderung auch der Tatsache geschuldet, dass eine Woche zuvor zahlreiche Besucher den Konzertabend verlassen hatten, als nach dem Klaviervirtuosen Lang Lang Schostakowitschs Vierte gegeben wurde, die weit sperriger als die zwei Jahre später fertiggestellte Komposition daherkommt.

 

Schrille Abrechnung mit dem Regime

Der begnadete Russe hatte sich mit dieser gnadenlos schrillen musikalischen Abrechnung mit den Verhältnissen in seinem Land die Sympathien des Regimes verscherzt und war praktisch gezwungen worden, im wahrsten Sinne des Wortes moderatere Töne anzuschlagen, um etwa dem Schicksal seiner Schwester zu entgehen, die quasi stellvertretend unter dem Eindruck dieses Werks nach Sibirien deportiert worden war.

Dennoch war die Fünfte nur aufs erste Hinhören ein Arrangement mit der Stalin-Diktatur; die scheinbar triumphalen Töne wirkten aufgesetzt. Insgeheim war es eine weitere Auseinandersetzung mit den Herrschenden wie etwa das Kabarett in der DDR: Die Pointen lauerten unter der Oberfläche.

Dmitri Schostakowitsch formulierte seine Intentionen später so: „Was in der Fünften vorgeht, sollte jedem klar sein. Der Jubel ist unter Drohungen erzwungen. So als schlage man uns mit einem Knüppel. Man muss schon ein kompletter Trottel sein, um das nicht zu hören.“

So kommt es, dass die Fünfte wie auch die folgenden Symphonien weit eingängiger wirken als die früheren Werke, ohne jedoch opportunistisch zu sein. So verlieren sich die burlesken, burschikosen Festklänge im zweiten Satz, die sogar in einen österreichischen Walzer zu münden scheinen, in einem Dahinstolpern durch immer neue düstere Trugbilder. Das triumphale Finale versinkt immer wieder in Düsternis und Lethargie.

 

Kontrapunkt Beethoven

Ganz anders als in der Fünften von Ludwig van Beethoven, mit der Frantz und das Orchester nach der Pause den Kontrapunkt setzten. Freilich, auch dort geht es um die Schicksalsfrage, dominiert zu Beginn das unheilschwangere c-Moll-Thema. Doch der Spannungsbogen zwischen Leid und Erlösung erreicht nie den Grad der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit wie bei Schostakowitsch, obwohl der Komponist bei Fertigstellung der Symphonie bereits heftig unter seiner Ertaubung litt.

Der Optimismus des Werks bricht sich bereits im ersten Satz Bahn. Und um im vielleicht etwas schiefen Bild zu bleiben: Das Licht am Ende des Tunnels ist schon früh erkennbar kein entgegenkommender Zug.

 


Von Wolfgang Heininger