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Klassische Musik tut gut

Justus Frantz dirigierte Open Air Konzert auf der Mainau

Die Philharmonie der Nationen spielte Romantisch-Symphonisches vor 1000 Zuhörern.

Sommerlich war die Temperatur beim Sonnenuntergang nicht, eher schon herbstkühl mit finalem Nieselregen. Aber Justus Frantz wusste die tausend Besucher des Mainau-Open-Air auf der Schlossgartenwiese sofort zu fesseln, als er statt der geplanten Mendelssohnschen „Sommernachtstraum“-Ouvertüre mit der eben 20 Jahre alt gewordenen Philharmonie der Nationen diejenige zur „Fledermaus“ spielen ließ: Präzision und Heiterkeit im facettenreichen Themenspiel. Davor hatte Björn Graf Bernadotte Justus Frantz und das Gastorchester begrüßt. „Klassische Musik tut gut“, beflügelte er das Publikum und fügte rätselhaft an, dass sie besonders schwangeren Frauen gut tue.

Schwere romantische Kost für Ausführende und Hörer in der Konzertmitte: Johannes Brahms' Violinkonzert D-Dur. Es war ein Genuss, im Dialog zwischen der russischen Geigerin Ksenia Dubrovskaya (Ehefrau von Justus Frantz) und dem Orchester all die spielerischen Varianten zu verfolgen, die sich im ersten Satz aus lyrischem Melos zu harter Dramatik entwickelten. Wie die Solovioline in der großen Kadenz von Josef Joachim (1878) zu ganz haarigen Doppelgriffen auflief, wie sie Kantilenen weich strich und die scharfen Punktierungen mit weitem Bogen durchzog, war bewundernswert (tontechnisch in den hinteren Reihen aber nur reduziert verfolgbar). Wer beim zweiten Satz, einem melodieverträumten Adagio, nicht selbst in Träume abschweifen konnte, hat was verpasst: Ein Zusammenspiel von Sologeige, Oboe und Horn in schönsten Umspielungen, wo das Orchester zurücktrat und einen samtweichen Teppich unterlegte. Da schreckte das Finale ungestüm auf: Rhythmisch ging die Post ab; schroffe Szenenwechsel in den Seitenthemen; ein ungarisches Rondo-Feuerwerk von aufkratzender Wirkung, zumal Frantz' gestenintensives Dirigat das Orchester und Publikum mitzureißen verstand.

Dass Felix Mendelssohn als Komponist oft unterschätzt würde, entkräftete Frantz in Wort und Tat: Die ganze Bandbreite seiner Musik von lyrischem bis zu dramatischem Ausdruck ließ er aufleben in der nordatlantisch dunkel gefärbten a-Moll-Symphonie, der „schottischen“. Die Philharmonie der Nationen, immer präzisest agierend, gab den ersten Satz verhalten tänzerisch, ließ im zweiten Satz Farben heller leuchten, Motive tanzen; im dritten musizierte das Orchester wieder weite elegisch stimmende Landschaft mit einer Ahnung von Trauer, und der vierte Satz quoll förmlich über von kontrastierenden Gedanken, die nach schottischen Liedern und angedeuteter Folklore klangen. Eine Symphonie, zum sinnlichen Hören mindestens so gut geeignet wie zum Räsonieren über außermusikalische Inhalte seiner Themen und Motive: Nicht wirklich Programm-Musik, aber wesensnah an schottischem Flair – seelenvoll und kräftig zugleich komponierte Romantik.

Von Justus Frantz ist man Erläuterungen gewohnt. Vielleicht etwas sparsamer als in früheren Konzerten fielen sie diesmal aus, transportierten aber den Kern seines Anliegens: Klassische Musik tut gut, lässt niemanden allein und gibt Hoffnung. Dem stimmten die 1000 im Beifall zu und erhielten dafür Rhythmisch-Melodisches auf den nassen Heimweg: temperamentgewürzte Tänze von Dvorák und Brahms.

 

 

 

SK plus, Reinhard Müller

30.7.2015